Warum sind soziale Beziehungen im Kindesalter so bedeutsam?

Gleichaltrige fordern sich in einer Art und Weise heraus, die sich von den Mitgliedern der älteren Generation unterscheidet. Sie stellen sich in ihrer Interaktion vor besondere Anforderungen, die viele Lern- und Entwicklungschancen bieten. Dazu gehören unter anderem das

  • Überzeugen der Gleichaltrigen für eigene Ansichten und Vorhaben durch Selbstdarstellungen, Argumente, Beweise und Verhandlungsgeschick,
  • Sammeln von Erfahrungen über sich selbst,
  • Bewerten und Erproben moralischen Handelns (Salisch, 2000).

Darüber hinaus ermöglicht die Gruppe als sozialer Erfahrungsraum ein umfangreiches Entwicklungspotential, folgende Aspekte lassen sich darunter beispielsweise nennen:

  • sich mit anderen vergleichen (Bezugsgruppe),
  • einen Status erwerben (Gruppenstruktur),
  • Zugehörigkeit erleben (Gruppenklima) und
  • mit Andersartigkeit umgehen (Toleranz) (Petillon, 2010).

Angenommen wird, dass die Kinder, die eine ungünstige soziale Position in der Gruppe der Mitschülerinnen und Mitschüler einnehmen, über deutlich weniger soziale Kontakte verfügen und ihnen dementsprechend soziale Entwicklungsmöglichkeiten eher verwehrt bleiben (Gasteiger-Klicpera & Klicpera, 1997). Empirische Untersuchungen belegen die Bedeutung der Einbindung in die Gruppe der Gleichaltrigen für Kinder im Grundschulalter: Demnach kann von einer positiven Wirkung der Akzeptanz auf die Lernentwicklung ausgegangen werden, während gezeigt werden konnte, dass sich Ablehnung durch Gleichaltrige negativ auf die schulische sowie emotional-soziale Entwicklung auswirkt (Bagwell, Newcomb & Bukowski, 1998; Bierman & Wargo, 1995; Coie, Terry, Lenox, Lochman & Hyman, 1995; De Rosier, Kupersmidt & Patterson, 1994; Hoza, Molina, Bukowski & Sippola, 1995; Ladd, Kochenderfer & Coleman, 1997).

Welche Kinder befinden sich in sozial ungünstigen Positionen?

Zur Frage nach den Ursachen von Statusunterschieden von Kindern in einer Gruppe wurden oftmals Persönlichkeitsunterschiede untersucht. Während auf der einen Seite davon auszugehen ist, dass insbesondere Kinder mit schwachen schulischen Leistungen bzw. Lernbeeinträchtigungen, externalisierenden Verhaltensweisen und/oder einem (sonderpädagogischen) Förderbedarf mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von Ablehnung betroffen sind (Haeberlin, Bless, Moser & Klaghofer, 2003; Huber, 2013; Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 1997; Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 2001;; Schmitman, 2008;), konnten auf der anderen Seite durch Untersuchungen vier Bereiche herausgestellt werden, die unter abgelehnten Kindern als besonders stark ausgeprägt gelten (Newcomb, Bukowski & Pattee, 1993): eine geringe soziale Kompetenz, sozialer Rückzug, Aggressivität und schwache kognitive Leistungen.

Zwar konnte für Kinder in ungünstigen sozialen Positionen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit personenbezogener dispositioneller Merkmale ermittelt werden, dennoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Schüler bzw. jede Schülerin mit einer Schwäche oder einem Defizit sozial abgelehnt ist (Blumenthal & Marten, 2013; Huber, 2006). Vielmehr wird angenommen, dass für gelingende soziale Integrationsprozesse alle beteiligten Personen, also neben dem Kind selbst auch die Mitschülerinnen und Mitschüler und die Lehrkraft, maßgeblichen Einfluss nehmen und die Erfassung sozial abgelehnter oder isolierter Schülerinnen und Schüler die Perspektive aller Beteiligten berücksichtigen sollte.


Literatur

Bagwell, C.L., Newcomb, A.F. & Bukowski, W.M. (1998). Preadolescent friendship and peer rejection as predictors of adult adjustment. Child Development, 68, 140-153.

Bierman, K.L. & Wargo, J.B. (1995). Predicting the longitudinal course associated with aggressive-rejected, aggressive (non-rejected) and rejected (non-aggressive) status. Development and Psychopathology, 7, 669-682.

Blumenthal, Y. & Marten, K. (2013). Soziometrischer Fragebogen. Rostock: Universität Rostock.

Coie, J.D., Terry, R.A., Lenox, K., Lochman, J. & Hyman, C. (1995). Childhood peer rejection and aggression as predictors of stable patterns of adolescent disorder. Development and Psychopathology, 7, 697-713.

De Rosier, M.E., Kupersmidt, J.B. & Patterson, C.J. (1994). Children’s academic and behavioral adjustment as a function of the chronicity and proximity of peer rejection. Child Development, 65, 1799-1813.

Gasteiger-Klicpera, B. & Klicpera, C. (1997a). Die Bedeutung der sozialen Stellung in der Gruppe der Gleichaltrigen für die Entwicklung der Kinder. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie, 25, 234-246.

Gasteiger-Klicpera, B. & Klicpera, C. (2001). Der Zusammenhang zwischen Schulleistungen, dem sozialen Status in der Klasse und dem Sozialverhalten. Heilpädagogische Forschung, 27, 2-14.

Haeberlin, U., Bless, G., Moser, U. & Klaghofer, R. (2003). Die Integration von Lernbehin-derten (4. Aufl.). Bern: Haupt.

Hoza, B., Molina, B.S.G., Bukowski, W.M., & Sippola, L.K. (1995). Peer variables as predictors of later childhood adjustment. Development and Psychopathology, 7, 787-802.

Huber, C. (2006). Soziale Integration in der Schule?! Eine empirische Untersuchung zur sozialen Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Gemeinsamen Unterricht. Marburg: Tectum.

Huber, C. (2013). Der Einfluss von Lehrkraftfeedback auf die soziale Akzeptanz bei Grundschulkindern – eine experimentelle Studie zur Wirkung von sozialen Referenzierungsprozessen in Lerngruppen. Heilpädagogische Forschung, 39, 14-25.

Ladd, G.W., Kochenderfer, B.J. & Coleman, C.C. (1997). Classroom peer acceptance, friendship, and victimization: Distinct relational systems that contribute uniquely to children’s school adjustment? Child Development, 68, 1181-1197.

Newcomb, A.F., Bukowski, W.M. & Pattee, L. (1993). Children´s peer relations: A meta-analytic review of popular, rejected, neglected, controversial, and average sociometric status. Psychological Bulletin, 113, 99-128.

Petillon, H. (2010). Soziale Beziehungen. In D. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (S. 793-800). Weinheim: Beltz.

Salisch, M. von (2000). Zum Einfluß von Gleichaltrigen (Peers) und Freunden auf die Persönlichkeitsentwicklung. In M. Amelang (Hrsg), Enzyklopädie der Psychologie Bd. 4, Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung (S. 345-405). Göttingen: Hogrefe.

Schmitman, M. (2008). Soziale Fertigkeiten und ADHS. Entwicklung und Evaluation eines Trainings sozialer Fertigkeiten für Kinder mit ADHS. Bremen: Dissertation an der Universität Bremen.