Die Sprachförderung im RIM auf den Förderebenen I und II

Das Prinzip der Prävention ist im Bereich der Sprache nicht in jedem Fall umsetzbar, da Kinder eine SSES bereits vorschulisch entwickeln. Daher sind Unterrichtsmethoden und Therapiekonzepte einzusetzen, die die Sprachentwicklungsstörung abbauen, ein erfolgreiches Lernen ermöglichen und die oben angesprochenen Sekundärsymptomatiken verhindern. Eine sprachliche Auffälligkeit muss dabei in jeder Phase des Schulalltags berücksichtigt und Sprachförderung als generelles Unterrichtsprinzip verstanden werden (Reber & Schönauer-Schneider, 2009).

Um eine gute sprachliche Förderung umzusetzen, berücksichtigt der Unterricht (Förderebene I) und der Förderunterricht (Förderebene II) sowohl allgemein sprachanregende Maßnahmen als auch die individuelle Problematik der im Bereich Sprache auffälligen Kinder. Die Grundschullehrkraft setzt unspezifische Maßnahmen zur Sprachförderung ein. Diese dienen v. a. der Vorbeugung von Sprachstörungen bzw. der Vermeidung von Sekundärsymptomen bei bereits vorliegenden Sprachentwicklungsauffälligkeiten. Von Bedeutung sind allgemeine sprachanregende Maßnahmen auch bei Kindern mit Mehrsprachigkeit oder kognitiven Beeinträchtigungen. Inhaltlich umfassen sie unterrichtsimmanente Förderangebote, die sich schwerpunktmäßig auf die Lehrersprache, die Förderung metasprachlichen Wissens und das Prinzip des handlungsbegleitenden Sprechens beziehen (Reber & Schönauer-Schneider, 2009).

Diese Maßnahmen sind als grundlegende Fördermethoden und -techniken im normalen Deutsch-, Mathematik- oder Sachunterricht bzw. Förderunterricht der Förderebenen I und II enthalten. Die Lehrkräfte bauen sie in den Unterrichtsalltag ein und führen so einen Unterricht durch, der zum einen die sprachlichen Kompetenzen aller Schülerinnen und Schüler fördert und zudem die sprachlichen Defizite bei Kindern mit Förderbedarf im Bereich Sprache berücksichtigt.

Die Planung individueller Förderziele für die Kinder mit erhöhtem Sprachförderbedarf wird in Zusammenarbeit zwischen Grundschul- sowie Sonderpädagoginnen und -pädagogen durchgeführt. Die individuellen Förderziele werden im Regelunterricht (Förderebene I), im Förderunterricht (Förderebene II) oder in einzelnen Unterrichtsabschnitten der Förderebenen I und II aufgegriffen.

Bei der Förderung in kleineren Gruppen (Förderebene II), aber auch auf der Förderebene I, z. B. in Phasen des offenen Unterrichts, beim Stationsbetrieb oder während der Wochenplanarbeit, sind zusätzlich Anstrengungen notwendig, um Kinder mit einem sehr hohen Förderbedarf im Bereich Sprache gezielt individuell zu fördern. So sollte z. B. im Stationsbetrieb eine Sprachstation angeboten werden, an der jede Schülerin bzw. jeder Schüler eine bestimmte sprachförderliche Aufgabe bearbeitet. Die Kinder mit einem Förderbedarf im Förderschwerpunkt Sprache erhalten an dieser Station eine individuelle Aufgabe, die ihre Sprachstörung berücksichtigt.

Weiterhin sollten regelmäßig Übungen angeboten werden, die sich an den sprachlichen Ebenen orientieren: auf der phonologischen Ebene z. B. die phonematische Differenzierung von Wörtern mit den Lauten /t/ und /d/, auf der semantisch-lexikalischen Ebene z. B. das semantische Kategorisieren einzelner Begriffe in Ober- und Unterbegriffe, auf der morphologisch-syntaktischen Ebene z. B. die Festigung der Pluralbildung, der Artikelzuordnung, das Sprechen in einfachen Hauptsätzen, und im Sprachverständnis z. B. das Verstehen von Präpositionalphrasen.

Diese Übungen werden individuell für jede Schülerin und jeden Schüler mit einem Förderbedarf im Bereich Sprache in Zusammenarbeit mit den Grundschul- sowie Sonderpädagoginnen und -pädagogen auf der Grundlage der diagnostischen Erkenntnisse geplant und durchgeführt.

Die Sprachförderung im RIM auf der Förderebene III

Auf der Förderebene III findet eine spezifischere Förderung sprachlicher Fähigkeiten statt. Es werden evidenzbasierte Therapieprogrammehttps://webcms.uni-rostock.de:8022/typo3/#_msocom_1 eingesetzt, die die Sprachstörung gezielt abbauen sollen (Ullrich & Romonath, 2008). Die Intervention erfolgt parallel zu den Maßnahmen auf den Förderebenen I und II. Welches Therapieprogramm verwendet wird, ist davon abhängig, welche Sprachstörungssymptomatik das Kind zeigt.

Auf der phonetisch-phonologischen Ebene wird mit der Psycholinguistisch orientierten Phonologie Therapie (P.O.P.T.; Fox, 2009) gearbeitet. Die Wirksamkeit dieser Therapie zeigte sich in einer Reihe von Einzelfall- bzw. Kleingruppenstudien (Teutsch & Fox, 2004; Fox, 2009; Dodd, 1995).

Mit dem Therapiekonzept der Kontextoptimierung (Motsch, 2010) erfolgen therapeutische Maßnahmen auf der grammatischen Ebene. Die Effektivitätsüberprüfungen verweisen darauf, dass das Konzept zur Förderung grammatischer Fähigkeiten in besonders wirksamer Weise in der Schule eingesetzt werden kann (Motsch, 2010).

Für den Bereich des Wortschatzes wurde auf ein vereinfachtes, aus der unterrichtlichen Praxis entstandenes Konzept zurückgegriffen (vgl. dazu Reber & Schönauer-Schneider, 2009; Glück, 2003).

Das Monitoring des Sprachverstehens (MSV; Reber & Schönauer-Schneider, 2009) trainiert wichtige Grundvoraussetzungen für das Sprachverständnis und ist eine sinnvolle Ergänzung zu den Therapien der anderen Sprachbereiche.

Auf der Grundlage einer umfassenden Sprachdiagnostik erfolgen zunächst die Erstellung eines datenbasierten Förderplans und eine individuelle Förderung von mindestens 2 x 10 Wochen auf der bzw. den als passend erkannten Sprachebenen. Sollte sich bei einer Förderung auf der Förderebene III in der Lernfortschrittsdiagnostik mit dem SET 5-10 bzw. in den in der Arbeitsversion vorliegenden CBM „Sprache“ keine erwartungskonforme Entwicklung des Kindes zeigen, regressive Verläufe erkennbar sein oder Sekundärsymptomatiken vorliegen, wird ein Präventionsgutachten (Phase 2 der Förderebene III) geschrieben. Dieses wird von der für die Klasse verantwortlichen Sonderpädagogin bzw. dem Sonderpädagogen erarbeitet. Die Sonderpädagogin bzw. der Sonderpädagoge holt sich auf der Grundlage der individuell beim jeweiligen Kind vorliegenden Problematik weitere Informationen (Anamnese, Gutachten weiterer Fachleute [Logopädin bzw. Logopäde, Psychologin bzw. Psychologe, HNO-Ärztin bzw. -Arzt usw.]) ein, die die schulische Diagnostik fachspezifisch ergänzen und die Ableitung weiterer Fördermaßnahmen ermöglichen. So benötigen bestimmte Störungsbilder, wie beispielsweise organisch bedingte Sprachstörungen (Spaltbildung), ggf. eine interdisziplinäre Behandlung.

Das Präventionsgutachten bildet die Grundlage für einen Förderplan, der neben den Diagnostikergebnissen realistische, individuelle Ziele mit Zeitplan, Maßnahmen und Angaben zur Kontrolle des Erreichens der Ziele beinhaltet. Die Ziele beziehen sich im Schwerpunkt auf die Umsetzung sprachförderlich-therapeutischer Maßnahmen auf allen Sprachebenen und ggf. auch auf weitere präventive Inhalte (Vermeidung von Sekundärsymptomatiken wie Schriftspracherwerbsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten oder Lernschwächen).

Sollten sich die Sprachentwicklungsleistungen nicht im erwarteten Umfang bessern, kann die Schule im Einverständnis mit den Eltern die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs im Bereich Sprache beantragen. Nach formaler Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs Sprache durch den Zentralen Diagnostischen Dienst wird das Kind zielgleich inklusiv – nicht mehr „präventiv“ – in der Klasse beschult.


Literatur

Dodd, B. (1995). Differential diagnosis and treatment of children with speech disorder. London: Whurr Publishers.

Fox, A. (2009). Kindliche Aussprachestörungen. Phonologischer Erwerb – Differenzialdiagnostik – Therapie (5. Aufl.). Idstein: Schulz-Kirchner-Verlag.

Glück, C.W. (2003). Semantisch-lexikalische Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Therapieformen und ihre Wirksamkeit. Sprache Stimme Gehör. Zeitschrift für Kommunikationsstörungen, 3 (27), 125-134.

Motsch, H.-J. (2010). Kontextoptimierung. Evidenzbasierte Intervention bei grammatischen Störungen in Therapie und Unterricht (3. Aufl.). München: Reinhardt.

Reber, K. & Schönauer-Schneider, W. (2009). Bausteine sprachheilpädagogischen Unterrichts. München: Reinhardt.

Teutsch, A. & Fox, A.V. (2004). Vergleich der Effektivität von artikulatorischer vs. phonologischer Therapie in der Behandlung kindlicher Aussprachestörungen: Eine Pilotstudie. Sprache Stimme Gehör. Zeitschrift für Kommunikationsstörungen, 28, 178-185.

Ullrich, A. & Romonath, R. (2008). Evidenzbasierte Entscheidungsprozesse in der sprachtherapeutischen Intervention. Die Sprachheilarbeit, 53, 274-283.