Diagnostisches Vorgehen

Das Wissen um die Bedeutung sozialer Beziehungen und die Folgen sozialer Ablehnung macht die Identifizierung betroffener Schülerinnen und Schüler notwendig. Dabei lassen sich drei diagnostische Zugänge zur Erfassung der sozialen Inklusion nennen: Die Einschätzung der Lehrkraft, die Befragung der Mitschülerinnen und Mitschüler sowie die Befragung des Kindes selbst. Folgende Abbildung konkretisiert die drei verschiedenen Ansätze und relevante Leitfragen.

Diagnostisches Vorgehen zur Erhebung sozialer Beziehungen

Das Grobscreening

Das Grobscreening (Hartke, Marten & Blumenthal, 2014) dient jeweils am Anfang und in der Mitte eines jeden Schuljahres als Gesprächsgrundlage in Teamberatungen und hilft der Lehrkraft, den Blick auf diejenigen Schülerinnen und Schüler zu richten, die aufgrund sozialer Ablehnung oder Isolation Unterstützung bedürfen. Im Anschluss an die Ermittlung gefährdeter Kinder sollte sich die Befragung der Mitschüler anschließen.

Die soziometrische Befragung

Im RIM wird die soziometrische Befragung mittels eines Nominierungsverfahrens nach den ersten acht Wochen eines Halbjahres und bei Bedarf (z. B. bei Veränderungen der Klassenzusammensetzung oder zur Überprüfung von durchgeführten Maßnahmen) empfohlen. Erfasst wird dadurch die Perspektive der Mitschülerinnen und Mitschüler, indem diese u. a. gefragt werden, neben wem sie gern sitzen bzw. nicht gern sitzen würden. Die folgende Abbildung zeigt den Ausschnitt eines soziometrischen Fragebogens (Blumenthal & Marten, 2013a), wie er im Rahmen des RIM-Konzepts vorgesehen ist. Dieser kann hier gemeinsam mit Hinweisen zur Durchführung (Blumenthal & Marten, 2013b) kostenlos heruntergeladen werden.

Auf der Grundlage der erhobenen Daten können Strukturkennzeichen einer Gruppe (z. B. Wahlverhalten, die Kohäsion sowie Beziehungsmuster zwischen Personen) ermittelt und Informationen über den sozialen Status einzelner Kinder in der Gruppe eingeholt werden (Dollase & Koch, 2006). Da Ablehnung durch Gleichaltrige als wesentlicher Risikofaktor für eine ungünstige schulische und emotional-soziale Entwicklung gilt, sollte eine schlechte soziale Integration unbedingt erkannt und durch gezielte Maßnahmen gefördert werden. Der erste Schritt bildet dabei die Ermittlung von Kindern, die sich in sozial ungünstigen Positionen befinden.

Die folgende Excel-Auswertungshilfe (Voß & Marten, 2015) – die hier ebenfalls kostenlos heruntergeladen werden kann – unterstützt dabei: Sie ermöglicht eine sehr einfache Auswertung der soziometrischen Befragung und erlaubt Aussagen darüber, wie gut die Schülerinnen und Schüler in der Klasse akzeptiert sind. Den einzelnen Schülerinnen und Schülern wird – je nach Antworten aller Kinder der Klasse – eine der folgenden Statusgruppen zugeordnet: besonders beliebt, beliebt, durchschnittlich integriert, vernachlässigt, abgelehnt, besonders abgelehnt und kontroversiell (umstritten). Vertiefende Informationen über den theoretischen Hintergrund und das zugrunde liegende Modell liefern Marten, Voß und Blumenthal (2016).

Befragung des Schülers bzw. der Schülerin

Wesentliche Stärke der soziometrischen Befragung liegt darin, dass sie Einsicht in die soziale Situation einer Klasse liefert, unter Berücksichtigung ihrer Größe und Wahlbereitschaft. Die standardisierte Bildung von Statusgruppen ermöglicht aber weniger eine qualitative Einschätzung der sozialen Situation abgelehnter Kinder. Ergänzend sollte deshalb auch der betreffende Schüler bzw. die Schülerin selbst befragt werden. Dies kann mithilfe sogenannter Schätzskalen realisiert werden, z. B. mit dem Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen (FEESS 1-2, FEESS 3-4; Rauer & Schuck, 2004, 2003). Dieser enthält den Untertest „Soziale Integration“ und erlaubt Aussagen über das wahrgenommene Integriertsein des Kindes selbst.

Weitere Empfehlungen zur umfassenden Einschätzung der sozialen Situation eines Kindes

Anzahl reziproker Wahlen bzw. Freundschaften

In Folge der soziometrischen Befragung ist es denkbar, in einer Gruppe als abgelehnt identifiziert und gleichzeitig von einigen wenigen Gruppenmitgliedern positiv gewählt zu werden. Das bedeutet, dass ein Kind von einem großen Anteil der Klassenkameradinnen bzw. -kameraden zwar abgelehnt wird, es aber durchaus reziproke Wahlen erhalten kann und damit mitunter über Freundschaftsbeziehungen innerhalb der Klasse verfügt. Dies kann als eine wichtige Ressource betrachtet und im Rahmen der Fördermaßnahmen berücksichtigt werden.

Häufigkeit von Negativ-Wahlen und Verhalten seitens Mitschülerinnen und Mitschülern

Allein der Status „abgelehnt“ spiegelt noch nicht in einem ausreichenden Maße wider, welche Verhaltensweisen die Mitschülerinnen und Mitschüler dem abgelehnten Kind gegenüber zeigen. Untersuchungen legen nahe, dass das Ausmaß der Akzeptanz und diskriminierendes Verhalten der Peers in Verbindung stehen und eine schlechte Behandlung seitens der Peers zu einer Abnahme von Teilnahme und Interesse am Unterricht führen kann (Buhs & Ladd, 2001; Buhs, Ladd & Herald, 2006). Deshalb sollte insbesondere ablehnendes oder ausgrenzendes Verhalten der Mitschülerinnen und Mitschüler im Auge behalten werden und von den Lehrkräften sowohl im Rahmen des Unterrichts als auch in der Pause aktiv unterbunden werden.


Literatur

Blumenthal, Y. & Marten, K. (2013a). Fragebogen zur Ermittlung soziometrischer Statusgruppen in Schulklassen. Rostock: Universität Rostock. Verfügbar unter: http://www.rim.uni-rostock.de/sozialeinklusion [31.08.2015].

Blumenthal, Y. & Marten, K. (2013b). Instruktion zur Befragung mit dem soziometrischen Fragebogen für Schulklassen. Rostock: Universität Rostock. Verfügbar unter: http://www.rim.uni-rostock.de/sozialeinklusion [31.08.2015].

Buhs, E.S. & Ladd, G.W. (2001). Peer rejection as an antecedent of young children´s school adjustment: An examination of mediating processes. Developmental Psychology, 37, 550-560.

Buhs, E.S., Ladd, G.W. & Herald, S.L. (2006). Peer exclusion and victimization: Processes that mediate the relation between peer group rejection and children´s classroom engagement and achievement? Journal of Educational Psychology, 98, 1-13.

Coie, J.D. & Dodge, K.A. (1988). Multiple Sources of Data on Social Behavior and Social Status in the School: A Cross-Age Comparison. Child Development, 59, 815-829.

Coie, J.D., Dodge, K.A., & Coppotelli, H. (1982). Dimensions and types of social status: A cross-age perspective. Developmental Psychology, 27, 682-688.

Dollase, R. & Koch, K.-C. (2006). Soziometrie. In D. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (S. 819-828). Weinheim: Beltz.

Hartke, B., Marten, K. & Blumenthal, Y. (2014). Grob-Screening zur Einschätzung der emotionalen und sozialen Entwicklung. Arbeitsversion. Rostock: Universität Rostock.

Marten, K., Voß, S. & Blumenthal, Y. (angenommen, 2016). Zur Anwendung des Nominierungsverfahrens als Methode zur Erfassung der sozialen Akzeptanz. Empirische Pädagogik.

Rauer, W. & Schuck, K.D. (2003). FEESS 3-4 Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen von Grundschulkindern dritter und vierter Klassen. Göttingen: Beltz.

Rauer, W. & Schuck, K.D. (2004). FEESS 1-2 Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen von Grundschulkindern erster und zweiter Klassen. Göttingen: Beltz.

Voß, S. & Marten, K. (2015). Auswertungshilfe zur Berechnung soziometrischer Statusgruppen. Universität Rostock: Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation. Verfügbar unter: http://www.rim.uni-rostock.de/sozialeinklusion [31.08.2015].