Mehrebenenprävention im RIM

Als Präventionskonzept zielt RTI darauf ab, den Lernerfolg der Kinder zu sichern, indem Lernlücken frühzeitig erkannt und mit Hilfe besonders bewährter Fördermaßnahmen geschlossen werden. Analog zum RTI-Ansatz bildet auch im RIM ein gestuftes Fördersystem, in dem verschiedene pädagogische Maßnahmen auf unterschiedlichen Präventionsebenen realisiert werden, das Kernstück (vgl. Abbildung 1). Zeigen die anhand der diagnostischen Maßnahmen im RIM ermittelten Schülerergebnisse, dass die Förderung auf der gegenwärtigen Stufe nicht ausreicht, erfolgt zusätzlich eine intensivere Förderung auf der nächst höheren Stufe.

In Anlehnung an die Einteilung von Caplan (1964; primär, sekundär, tertiär) bzw. Gordon (1983; universell, selektiv, indiziert) besteht das RIM aus drei miteinander verbundenen Förderebenen (FE). Abhängig vom Umfang und der Schwere der Leistungs- bzw. Verhaltensprobleme unterscheidet sich die pädagogische Arbeit auf den einzelnen Ebenen hinsichtlich a) der Intensität und Spezifität der Fördermaßnahmen, b) des Individualisierungsgrades sowie c) der mit ihnen verknüpften diagnostischen Methoden.

Sowohl die leistungsstarken als auch die leistungsschwachen Kinder erhalten durch dieses Mehrebenenpräventionssystem bereits bei ersten Anzeichen für besondere Begabungen, aber auch Entwicklungsstörungen oder Schulschwierigkeiten, eine gestufte Förderung. Es erfolgt demnach keine frühzeitige Segregation, sondern die schrittweise Optimierung der Förderung in der allgemeinen Schule. 

 

Für die Grundschul- und Sonderpädagoginnen und -pädagogen liegen klare kooperative Aufgabenverteilungen innerhalb der Präventionsebenen vor.

Konzeption der Förderebenen im RIM
Konzeption der Förderebenen im RIM

Förderebene I

Auf Förderebene I werden alle Kinder beschult. Sie entspricht somit dem Regelunterricht nach der Stundentafel der Grundschule. Das RTI-Konzept weist auf dieser Ebene einen qualitativ hochwertigen Unterricht mit differenzierenden Anteilen für leistungsstarke und leistungsschwache Schülerinnen und Schüler aus (→Hier finden Sie eine Charakterisierung eines "hochwertigen Unterrichts" der RIM-Arbeitsgruppe.).

Die verwendeten pädagogischen Methoden sowie Unterrichts- und Fördermaterialien passen zueinander und haben bereits in wissenschaftlichen Untersuchungen gezeigt, dass sie gut geeignet sind, um alle Kinder einer Klasse zu fördern (evidenzbasiert).

Alle Kindern absolvieren jeweils zu Beginn und zur Mitte des Schuljahres ein Screeningverfahren, um besondere Förderbedarfe zu ermitteln. Zudem erfolgt durch den Einsatz monatlicher curriculumbasierter Messungen (CBM) eine fortlaufende Lernfortschrittsdokumentation.

Verantwortlich für den Unterricht ist die Grundschullehrkraft. Die Sonderpädagogin bzw. der Sonderpädagoge berät hinsichtlich spezifischer Maßnahmen, wie beispielsweise sprachheilpädagogisch oder verhaltensbezogenen förderlichen Unterrichtsanteilen.

Förderebene II

Auf der Förderebene II werden die Schülerinnen und Schüler gefördert, die durch unterdurchschnittliche schulische Leistungen auffallen. Auf Basis von Studien und Erfahrungen zu RTI in den USA kann davon ausgegangen werden, dass dies ungefähr 20 % der Kinder eines Jahrgangs betrifft. Die unterrichtsintegrierte Förderung auf Förderebene I erweist sich also für diese Kinder als nicht ausreichend und zusätzliche Hilfen müssen den Regelunterricht ergänzen. Für jedes Kind wird ein individueller Förderplan erstellt. Verantwortlich für die Förderung ist auch hier die Grundschullehrkraft, die in zusätzlichen Stunden (siehe Tabelle) die Kinder in Kleingruppen von vier bis sechs Schülerinnen und Schülern für zehn Schulwochen gezielt fördert. Diese Gruppengröße ermöglicht der Lehrkraft eine intensive, kleinschrittige und lückenschließende Instruktion eines jeden Kindes. Die verwendeten Materialien und Übungsformate sind den Kindern bekannt und orientieren sich am Regelunterricht auf Förderebene I.

Förderstunden auf Förderebene II im RIM

  wöchentliche Förderstunden Deutsch wöchentliche Förderstunden Mathematik
Klasse 1 3h 2h
Klasse 2 2h 1h
Klasse 3 1h 1h
Klasse 4 1h 1h

Förderebene III

Entwickelt sich das Kind trotz dieser zusätzlichen Förderung nicht wie erwartet und findet keinen Anschluss an das Leistungsvermögen seiner Klassenkameradinnen und -kameraden, folgt eine Förderung auf der Förderebene III. Es wird davon ausgegangen, dass ca. fünf Prozent aller Kinder eines Jahrgangs eine Förderung auf der Förderebene III für eine zufriedenstellende Lernentwicklung benötigen. Diese Förderung auf der Förderebene III gliedert sich im RIM in zwei Phasen:

 

Phase 1

Die Förderebene III setzt ein, wenn (1) bisherige Fördermaßnahmen auf den Förderebenen I und II zu geringe Erfolge brachten oder (2) ein offensichtlich schwerwiegender Förderbedarf vorliegt. Deshalb fördert die Sonderpädagogin bzw. der Sonderpädagoge betroffene Kinder auf dieser Ebene in einem Zeitraum von mindestens zehn Schulwochen in der Regel in einer Einzelsituation oder in Kleinstgruppen von maximal drei Kindern. Hierdurch wird eine intensive und optimierte, individuell auf das Kind abgestimmte Förderung ermöglicht, in der beispielsweise die mathematische oder schriftsprachliche Förderung je nach Bedarf mit z. B. Methoden der Aufmerksamkeitsförderung kombiniert wird. Dafür stehen der Sonderpädagogin bzw. dem Sonderpädagogen in jeder Klasse ca. vier Förderstunden pro Woche zusätzlich zum Unterricht der Förderebene I (Regelunterricht) und II (Kleingruppenförderung) zur Verfügung. Gleichzeitig berät die Sonderpädagogin bzw. der Sonderpädagoge die zuständige Grundschullehrkraft hinsichtlich notwendiger Maßnahmen zur Differenzierung und Unterstützung in Unterrichts- bzw. Förderstunden auf der Förderebene I und II. Die Fördermaßnahmen und der Förderverlauf werden fortlaufend evaluiert und dokumentiert.

Zeigt ein Kind auf der Förderebene III Phase 1 einen Leistungsanstieg, der durch weitere Förderung auf der Förderebene II den Anschluss an den Regelunterricht ermöglicht, gilt die Förderung auf Ebene III als abgeschlossen. Dieses Kind wird fortan wieder ausschließlich im Regelunterricht (Förderebene I) und auf Förderebene II zusätzlich in einer Kleingruppe unterrichtet. Ist ein Anstieg, der den Abstand zum Durchschnittsbereich verringert, nicht erkennbar, spricht dies eher für eine Verlängerung des Förderzeitraums um weitere zehn Schulwochen und ggf. geringe Modifizierungen der Methoden der Förderung.

 

Phase 2

Sollte sich die Leistung trotz intensiver, wiederholter und modifizierter Förderung auf der Förderebene III nicht erwartungsgemäß entwickeln, findet eine kooperative Fallberatung statt. Die Ergebnisse der kooperativen Fallberatung, deren Datengrundlage, Analyseergebnisse und Beschlüsse sowie sich anschließende ergänzende Untersuchungen der pädagogischen Situation des Kindes werden in einem Präventionsgutachten zusammengefasst. Dieses Gutachten bildet die Basis für eine veränderte, mehrere Bereiche umfassende, intensive Förderung für mindestens zehn Schulwochen auf der Förderebene III Phase 2. Auch in dieser Phase werden Fördermaßnahmen und die Entwicklung fortlaufend dokumentiert und somit geprüft, ob und wie die Umsetzung des Förderplans beim jeweiligen Kind wirkt. Sollte sich dabei ein deutlicher Leistungsanstieg zeigen, der durch weitere Förderung auf der Förderebene II den Anschluss zum Klassenunterricht ermöglicht, gilt die Förderung auf Ebene III als abgeschlossen. Bleibt dieser Anstieg aus, findet eine erneute kooperative Fallberatung statt, in der weitere (sonder-) pädagogische Maßnahmen für die Förderebenen I, II und III vereinbart werden. Dazu zählen u. a. eine Verlängerung des Förderzeitraums um weitere zehn Schulwochen mit ggf. modifizierten Förderinhalten bis hin zu einer Lernzeitverlängerung im Sinne einer Klassenwiederholung.

Ein kleiner Teil von Schülerinnen und Schülern, ca. zwei Prozent aller Kinder, wird trotz umfangreicher Förderbemühungen (einschließlich Klassenwiederholungen) nicht im gleichen Maße Lernfortschritte erzielen können wie die Klassenkameradinnen und -kameraden. Diese Kinder werden nach der Diagnostik ihres individuellen Lern- und Entwicklungsstandes und ggf. der Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs durch die Grundschullehrkraft zieldifferent im Regelunterricht auf der Förderebene I beschult sowie auf der Förderebene II und zusätzlich individuell durch die Sonderpädagogin bzw. den Sonderpädagogen auf der Förderebene III gefördert. Durch die zieldifferente Beschulung sollen individualisierte Unterrichtsinhalte entsprechend des Lehrplanes der allgemeinen Förderschule mit den Kindern erarbeitet werden. Diese Kinder bleiben in ihrem Klassenverband und werden trotz eines langanhaltenden Förderbedarfs in einzelnen oder mehreren Bereichen nicht in eine Sonderklasse umgeschult. Wissenschaftlicher Hintergrund der weiteren Beschulung in der allgemeinen Schule ist, dass die Kinder, denen es trotz Lernzeitverlängerung nicht gelingt, die Lernziele der Grundschule zu erreichen, dort demnach in der Regel erfolgreicher lernen als in segregativen Schulformen (für einen Überblick einschlägiger Studien s. Bless & Mohr, 2007; Schnell, Sander & Federolf, 2011).


Literatur

Bless, G. & Mohr, K. (2007). Die Effekte von Sonderschulunterricht und gemeinsamem Unterricht auf die Entwicklung von Kindern mit Lernbehinderungen. In J. Walter & F.B. Wember (Hrsg.), Sonderpädagogik des Lernens (S. 375-382). Göttingen: Hogrefe.

Caplan, G. (1964). Principles of preventive psychiatry. New York, NY: Basic Books.

Gordon, R. (1983). An operational classification of disease prevention. Public Health Reports, 98, 107-109.

Schnell, I., Sander, A. & Federolf, C. (2011). Zur Effizienz von Schulen für Lernbehinderte. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.