Mehrebenenprävention

Der Response-to-Intervention-Ansatz ist ein Beschulungs- und Förderkonzept, in dem der Präventionsgedanke zentral ist und die Lern- und Entwicklungsziele aller Kinder berücksichtigt werden. Dies wird durch eine gestufte Förderung sowohl der leistungsstarken als auch der leistungsschwachen Kinder erreicht. Die Effektivität der Förderung an der allgemeinen Schule wird fortlaufend kontrolliert und angepasst. Zeigt sich, dass der Unterricht bzw. die Förderung auf der gegenwärtigen Förderebene (FE) nicht ausreicht, erfolgt zusätzlich eine intensivere Förderung auf der nächst höheren FE. Dabei ist die Anzahl der FE in den US-amerikanischen Schulen unterschiedlich (National Center on Response to Intervention, 2010, S. 11f.). Meist wird ein Konzept mit drei FE umgesetzt. Für die Lehrkräfte und weitere pädagogische Mitarbeiter, wie language pathologists, sind die Aufgabenverteilungen innerhalb dieser Ebenen klar geregelt.

Mit dem Konzept einer mehrstufigen Förderung wird berücksichtigt, dass der sehr hohe Anspruch einer optimalen Passung zwischen den Lernvoraussetzungen jedes Kindes und dem Unterricht durch Differenzierung und Individualisierung (Wember, 2001, S. 161) selbst erfahrenen Pädagogen in Klassen mit niedriger Schülerzahl kaum gelingt. Für Klassen mit teilweise über 25 Kindern muss umso mehr bezweifelt werden, für die Vielzahl unterschiedlicher Schülerinnen und Schüler individuell passende Lehrgänge gestalten zu können. Daher wird dem Problem der großen Heterogenität von Lernvoraussetzungen durch die Förderung auf mehreren Ebenen (Mehrebenenprävention) begegnet (s. Abbildung).

Förderebene I

Auf der Förderebene I (FE I) erfolgt der Regelunterricht nach der Pflichtstundentafel der jeweiligen Klassenstufe. Das RTI-Konzept weist auf dieser Ebene einen qualitativ hochwertigen Unterricht mit differenzierenden Anteilen für leistungsstarke und -schwache Schülerinnen und Schüler aus. Verantwortlich für den Unterricht ist die Regelschullehrkraft. Zusätzlich beraten qualifizierte Personen (z. B. Sonderpädagogen, Logopäden, Schulpsychologen) die Regelschulpädagogen hinsichtlich spezifischer Maßnahmen, wie beispielsweise sprachheil- oder verhaltensförderlicher Unterrichtsanteile.

Förderebene II

Auf der Förderebene II (FE II) werden die Schülerinnen und Schüler gefördert, die in Screening-, curriculumbasierten Messverfahren und/ oder in Unterrichtsbeobachtungen durch unterdurchschnittliche schulische Leistungen oder Entwicklungsprobleme (z. B. eingeschränkte sprachliche Fähigkeiten, Probleme im emotionalen und sozialen Bereich) auffallen. Die unterrichtsintegrierte Förderung auf FE I erweist sich folglich für diese Schülerinnen und Schüler als nicht ausreichend (Nonresponder der FE I) und spezielle Maßnahmen müssen den Regelunterricht ergänzen. Studien und Erfahrungen zum RTI-Ansatz in den USA zeigen, dass dies ungefähr 20 % der Kinder eines Jahrgangs betrifft (National Center on Response to Intervention, 2010). Verantwortlich für die Förderung auf der FE II ist wiederum eine Regelschullehrkraft, die in zusätzlichen Förderstunden die entsprechenden Kinder in Kleingruppen von vier bis sechs Schülern für ca. zehn Schulwochen gezielt fördert. Diese Gruppengröße ermöglicht der Lehrperson eine intensive kleinschrittige lückenschließende Instruktion eines jeden Kindes. Die verwendeten Materialien und Übungsformate sind den Kindern bekannt und orientieren sich am Regelunterricht auf FE I. Der Förderverlauf und ‑erfolg werden fortlaufend kontrolliert und dokumentiert, sodass regelmäßig entschieden werden kann, auf welcher bzw. welchen FE das Kind gefördert wird.

Förderebene III

Eine Förderung auf der Förderebene III (FE III) schließt sich dann an, wenn sich ein Kind trotz der zusätzlichen Förderung nicht wie erwartet entwickelt und sich seine Leistungen deutlich von denen der Altersnorm unterscheiden (Nonresponder der FE I und II). Auf Basis der Erfahrungen in den USA kann davon ausgegangen werden, dass ca. fünf Prozent aller Kinder eines Jahrgangs eine Förderung auf der FE III benötigen. Eine speziell qualifizierte Lehrkraft (z. B. Sonderpädagogin/ Sonderpädagoge) fördert die betroffenen Kinder in einer Einzelsituation oder in Kleinstgruppen von maximal drei Kindern. Hierdurch wird eine intensive und optimierte, individuell auf den Schüler/ die Schülerin abgestimmte Förderung ermöglicht, in der beispielsweise die mathematische oder schriftsprachliche Förderung nach Bedarf mit Methoden der Sprach- und Aufmerksamkeitsförderung kombiniert wird. Für Schülerinnen und Schüler der FE III sind beratende und differenzierende Maßnahmen für den Unterricht auf den FE I und II notwendig. Die Fördermaßnahmen sowie der Förderverlauf und -erfolg werden fortlaufend kontrolliert und dokumentiert.

 

Sollte sich die Leistung trotz intensiver, wiederholender und modifizierter Förderung auf der FE III nicht erwartungsgemäß entwickeln und sollten weitere pädagogische Maßnahmen (z. B Rückstufungen, außerschulische Lernförderung) ausgeschöpft sein, werden die betroffenen Kinder zieldifferent im Regelunterricht auf der FE I beschult und ggf. zusätzlich auf FE III gefördert. Durch die zieldifferente Beschulung sollen Unterrichtsziele mit den Kindern erreicht werden, die dem individuellen Lernvermögen entsprechen. Es wird davon ausgegangen, dass dieses Vorgehen bei ca. zwei Prozent aller Schülerinnen und Schüler Anwendung findet. Im deutschsprachigen Raum ist für diese Kinder eine formale Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs notwendig.


Literatur

Blumenthal, Y., Kuhlmann, K. & Hartke, B. (2014). Diagnostik und Prävention von Lernschwierigkeiten im Aptitude Treatment Interaction- (ATI-) und Response to Intervention-(RTI)Ansatz. In M. Hasselhorn, W. Schneider & U. Trautwein (Hrsg.), Lernverlaufsdiagnostik. Tests und Trends N.F. Band 12 (S. 61-81). Göttingen: Hogrefe.

National Center on Response to Intervention. (2010). Essential Components of RTI – A Closer Look at Response to Intervention. Washington,DC. Zugriff am 13.03.2014. Online verfügbar unter: http://www.rti4success.org/resource/essential-components-rti-closer-look-response-intervention.

Wember, F.B. (2001). Adaptiver Unterricht. Sonderpädagogik, 31, S. 161-181.