Datenbasierte kooperative Zielvereinbarungsgespräche

Im Rahmen von Datenanalysen fiel auf, dass sich die Leistungsstände der Klassen auf Rügen stark unterscheiden. Daraufhin wurden die Schulleiterinnen und Schulleiter darüber informiert, wie sie einen Einblick in den Leistungsstand der Klassen ihrer Schule bekommen können. Sie wurden darin trainiert, Klassendatensätze zunächst einzeln und auch gemeinsam mit Lehrkräften zu interpretieren, um daraus Schlussfolgerungen für die pädagogische Arbeit abzuleiten. Auf dem Lernfortschrittsserver wurde die Funktion „Erstellung von Klassenlisten“ eingerichtet. Die nachfolgende Tabelle zeigt eine solche Klassenliste, die den Leistungsstand im Lesen und in der Rechtschreibung mithilfe von Messergebnissen mit den Tests VSL („Verlaufsdiagnostik sinnerfassendes Lesen“; Walter, 2013) und HSP („Hamburger Schreib-Probe“; May, 2001) im Übergang von der dritten in die vierte Klasse wiedergibt.

Klassenliste über die Leistungen im Lesen (gemessen mit der VSL) und Rechtschreiben (gemessen mit HSP 3) einer vierten Klasse (im Übergang zu Klasse 4)

  VSL Rohwert VSL Prozentrang entsprechend dem Manual (Anfang Klasse 4) HSP 3 Rohwert HSP 3 Prozentrang entsprechend dem Manual (Ende Klasse 3)
Kind 1 17 54 31 60
Kind 2 21 73 38 99
Kind 3 5 5 10 1
Kind 4 25 88 36 91
Kind 5 1   21 15
Kind 6 5 5 16 5
Kind 7 21 73 30 53
Kind 8 20 69 36 91
Kind 9 10 18 25 28
Kind 10 26 90 36 91
Kind 11 29 92 38 99
Kind 12 18 58 20 12
Kind 13 10 18 19 10
Kind 14 14 38 27 37
Kind 15 17 54 36 91
Kind 16 31 98 33 73
Kind 17 23 82 35 85
Kind 18 5 5 16 5
Klasse (Klassenmittelwerte) 17 54 28 42

Die Daten zeigen, dass die Klasse im Lesen im Mittelwert ein durchschnittliches Ergebnis erreicht (RW = 17; Prozentrang/PR = 54), in der Rechtschreibung aber deutlich schlechter abschneidet (RW = 28; PR = 42). Es kommen vier Kinder mit extremen Leseschwierigkeiten (PR kleiner gleich 5) vor, die auch Probleme in der Rechtschreibung aufweisen. Zwei Kinder zeigen Hinweise auf Leseschwierigkeiten (PR kleiner 25), einmal gepaart mit deutlichen Rechtschreibproblemen. Ein Kind liest durchschnittlich, hat aber Schwierigkeiten in der Rechtschreibung (PR kleiner 25). Das Leistungsniveau der Mehrheit der Kinder in der Klasse ist sowohl im Lesen als auch Rechtschreiben eher hoch. Aus dieser Datenübersicht wird deutlich, dass es in der Klasse gilt, das Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler mit niedrigen Schulleistungen im Lesen und Rechtschreiben zu verbessern, für sechs Kinder sind entsprechend optimierte Hilfen zu entwickeln.

In der Diskussion mit den Schulleiterinnen und Schulleitern innerhalb der Fortbildung wurde thematisiert, wie mit solchen Befunden umgegangen werden soll. Aus der Diskussion entstand die Idee zu dem Konzept „Datenbasierte kooperative Zielvereinbarung“, das anschließend innerhalb des Forschungsvorhabens ausgearbeitet und in Schulleiterfortbildungen vermittelt wurde (Hartke & Diehl, 2014).

Ziele

Mit dem Konzept „Datenbasierte kooperative Zielvereinbarung“ sind folgende Ziele verbunden:

  • Intensivierung des kooperativen zielgerichteten Arbeitskontaktes zwischen Lehrkräften und Schulleitung,
  • Gemeinsame, datenbasierte Analyse des Leistungsstandes einer Klasse in unterschiedlichen Bereichen, d. h. Einschätzung des Leistungsstandes der Klasse insgesamt und Identifikation des Leistungsstandes einzelner Schülerinnen und Schüler bzw. von auffälligen Leistungsständen,
  • Diskussion von Gründen für auffällige Leistungsstände sowie von Ansatzpunkten, um Änderungen herbeizuführen,
  • Erarbeitung von pädagogischen Zielen sowie von Handlungszielen für die Lehrkraft,
  • Erarbeitung und Vereinbarung eines Handlungsplans für vier bis sechs Wochen – Vereinbarung von Zielen und pädagogischen Handlungsschritten für den avisierten Zeitraum.

Theoretischer Hintergrund und Ablauf

Das Konzept „Datenbasierte kooperative Zielvereinbarung“ basiert auf dem Beratungsansatz „Kooperative Beratung“. Als Variante der „Kooperativen Beratung“ beschreibt Mutzeck (2008b) das Konzept „Kooperatives Coaching“ (S. 86), dessen Grundideen dem Konzept „Datenbasierte kooperative Zielvereinbarung“ entspricht. Letztlich tritt die Schulleiterin bzw. der Schulleiter innerhalb eines Zielvereinbarungsgesprächs als Coach auf, der dazu motiviert, Ziele und Handlungsschritte zur Zielerreichung zu definieren und zu vereinbaren. Um deren Umsetzung abzusichern, werden hierbei entsprechende Vereinbarungen schriftlich fixiert. Dem gehen mehrere Beratungsschritte voraus.

Die Phasen der „Datenbasierten kooperativen Zielvereinbarung“ sind:

  1. Vorbereitungs- und Einführungsphase,
  2. Beschreibung der pädagogischen Situation,
  3. Analyse der pädagogischen Situation,
  4. Zielfindung,
  5. Handlungsplanung und Zielvereinbarung.

Bisherige Erfahrungen

Bei einer Fragebogenerhebung beantworteten 19 von 23 befragten Schulleiterinnen und Schulleitern bzw. stellvertretenden Schulleiterinnen und Schulleitern Fragen zum Thema „Zielvereinbarungsgespräche“. Hiernach fanden in allen Schulen Zielvereinbarungsgespräche statt. Ebenso wird in nahezu allen Schulen regelmäßig über den Stand der Umsetzung der Zielvereinbarungen gesprochen. Nach Auskunft der Schulleitungen gelingt es den Lehrkräften meist, vereinbarte Ziele umzusetzen.

In Gesprächen innerhalb von Fortbildungen für Schulleiterinnen und Schulleiter wurde über folgende Erfahrungen mit dem Konzept „Datenbasierte Zielvereinbarungsgespräche“ berichtet bzw. es wurden folgende Durchführungsvorschläge gemacht:

  • Nach der Durchführung von normierten diagnostischen Verfahren sollte die Schulleitung über deren Ergebnisse informiert werden. Hierzu sind Klassenlisten mit Mittelwertangaben geeignet. Bei niedrigen Mittelwerten (Prozentrangäquivalente bei PR ≤ 40 bzw. T-Werten unter 48) der Klasse ist ein Zielvereinbarungsgespräch angezeigt.
  • Für die Durchführung von „Datenbasierten kooperativen Zielvereinbarungen" ist es günstig, wenn Zielvereinbarungsgespräche bereits Teil der regulären Zusammenarbeit an Schulen sind. Dann ist die Verwendung von Daten nur ein hinzukommendes Element.
  • Wenn Daten in Zielvereinbarungsgesprächen genutzt werden sollen, ist dies im Vorfeld des Gesprächs deutlich zu kommunizieren. Die Lehrkraft soll sich vor dem Gespräch mit den Daten auseinandersetzen und zum Gespräch Übersichten mitbringen.
  • In einer sehr komplexen schwierigen Klassensituation (niedriges Leistungsniveau der Klasse in mehreren Bereichen, eine Vielzahl an auffälligen Werten auf der Schülerinnen- und Schülerebene) sollte die „Gemengelage“ in zu bewältigende Schwierigkeiten aufgeteilt werden, um sie dann in Abschnitten zu bearbeiten.
  • Der Sprachanteil der „gecoachten“ Lehrkraft sollte deutlich höher als der Sprachanteil der Schulleiterin bzw. des Schulleiters sein.
  • Als schwierig wird von den Schulleiterinnen und Schulleitern die „Gradwanderung“ zwischen „Coaching“ und Dienstaufsicht erlebt. Andererseits wird die Chance des Konzeptes in einem Verbund von „wohlwollendem Druck“ und Unterstützung gesehen.
  • Die Frage, inwieweit die Fachkompetenz der Schulleiterin bzw. des Schulleiters beim Coaching gefragt ist, oder eher die Fähigkeit, die Lehrkraft zu motivieren und zu unterstützen, einen Handlungsplan selbständig zu erstellen, wird von den einzelnen Schuleiterinnen und Schulleitern unterschiedlich beantwortet. Einige bringen ihre Fachkompetenz ein, andere „nur“ ihre Beratungskompetenz.

Hartke, B. & Diehl, K. (2014). Datenbasierte kooperative Zielvereinbarungen. In Y. Blumenthal, K. Mahlau & B. Hartke (Hrsg.). Lernen nachhaltig fördern Klasse 4. Fortbildungseinheiten zur evidenzbasierten Gestaltung einer präventiven und integrativen Grundschule (S. 291-301). Rostock: Universität Rostock.

May, P. (2001). Hamburger Schreib-Probe (HSP 3). Hinweise zur Durchführung und Auswertung. Hamburg: Verlag für pädagogische Medien.

Mutzeck, W. (2008b). Methodenbuch Kooperative Beratung. Supervision, Teamberatungen, Coaching, Mediation, Unterrichtsberatung, Klassenrat. Weinheim: Beltz.

Walter, J. (2013). Verlaufsdiagnostik sinnerfassendes Lesen. Göttingen: Hogrefe.